Wegzugsbesteuerung bei einem Wegzug in die Schweiz

Der BFH hat sich mit Urteil vom 06.09.2023 (I R 35/20) zum sog. Wächtler-Urteil des EuGH geäußert, das sich mit der Wegzugsbesteuerung bei Wegzügen in die Schweiz in Altfällen befasst. Das ATAD-Umsetzungsgesetz aus dem Jahr 2021 hat die Wegzugsbesteuerung für alle Fälle verschärft.

Gemäß unionsrechtlichen Vorgaben und dem Freizügigkeitsabkommen der EU und der Schweiz ist nach Ansicht des BFH die im Jahr 2011 entstandene nationale Wegzugsteuer bei einem Umzug in die Schweiz dauerhaft und zinslos zu stunden. Dennoch hindert dies nicht die Festsetzung der Steuer. Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union Wächtler vom 26.02.2019 - C-581/17, EU:C:2019:138, Internationales Steuerrecht 2019, 260 bestätigt diese Regelung.

Rechtslage

Bei einem Umzug ins Ausland endet die unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland. Anteile an einer Kapitalgesellschaft gelten infolge des Wegzugs als veräußert und lösen eine Veräußerungsgewinnbesteuerung aus (sog. „Wegzugsbesteuerung" nach § 6 AStG).

Für Wegzüge in das EU/EWR-Ausland sah § 6 Abs. 5 AStG a.F. eine zinslose, unbefristete Stundung vor. Bei Wegzug in einen Drittstaat bestand (nur) in Fällen unbilliger Härte die Möglichkeit einer Stundung, wobei jedoch u.a. eine ratierliche Auflösung über einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren zu erfolgen hatte (§ 6 Abs. 4 AStG a.F.).

Das EuGH-Urteil vom 26.02.2019 (C-581/17, Wächtler) besagt, dass die deutsche Wegzugsbesteuerung bei einem Umzug in die Schweiz nicht mit dem Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und der Schweiz vereinbar ist. Das BMF reagierte darauf mit einem Schreiben vom 13.11.2019, das eine verzinsliche Stundungsmöglichkeit über fünf Jahre ohne Nachweis erheblicher Härte für Wegzugsfälle in die Schweiz vorsieht.

Durch das ATAD-Umsetzungsgesetz vom 25.06.2021 wurde § 6 AStG unabhängig vom Wegzugsort erheblich verschärft („One-Fits-All-Lösung“). Die zinslose und unbefristete Stundung bei Wegzug innerhalb des EU-/EWR-Raums ist damit weggefallen.

Streitfrage

Der Kläger, ein deutscher Staatsangehöriger und seit 2008 Geschäftsführer einer GmbH mit Sitz in der Schweiz, wurde vom Finanzamt wegen seines Umzugs in die Schweiz mit einer Wegzugsteuer gemäß § 6 Abs. 1 AStG belastet. Damit war der Kläger nicht einverstanden und argumentierte, dass diese Besteuerung nicht mit dem Freizügigkeitsabkommen (FZA) zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft vereinbar sei. Das Finanzamt setzte dennoch die Einkommensteuer für 2011 fest, einschließlich eines fiktiven Veräußerungsgewinns gemäß § 6 AStG i.V.m. § 17 EStG. Der Kläger legte Einspruch ein, zahlte die Wegzugsteuer vorläufig und beantragte keine Stundung mehr.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren legte er Klage vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg ein. Das Gericht richtete ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH, der mit Urteil Wächtler v. 26.02.2019 (Az. C-581/17) entschieden hat. Das Finanzgericht gab schließlich der Klage mit Urteil vom 31.08.2020 (Az. 2 K 835/19, EFG 2021, 20) statt.

Revision des Finanzamts

Gegen die Entscheidung des Finanzgerichts Baden-Württemberg legte das Finanzamt Revision ein. Es trug vor, dass die Festsetzung der Wegzugsteuer gemäß § 6 AStG rechtmäßig sei. Die Entscheidung, ob die Steuer aus Gründen des übernationalen Rechts gestundet werden muss, sei nicht im Steuerfestsetzungs-, sondern im Steuererhebungsverfahren zu treffen.

Entscheidung des BFH

Der BFH hat in seiner Revision die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben.

Gemäß dem EuGH-Urteil Wächtler ist § 6 AStG mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Wegzugsteuer im Steuererhebungsverfahren zwar dauerhaft und zinslos von Amts wegen zu stunden sei. Trotzdem könne sie im Einkommensteuerbescheid festgesetzt werden.

Das Finanzgericht habe die Reichweite der geltungserhaltenden Reduktion des nationalen Rechts bei Unionsrechtsverstößen zu eng bestimmt. Es gehe um eine Gesetzesanwendung, die den Anwendungsvorrang des unmittelbar geltenden Unionsrechts unter größtmöglicher Wahrung des national-rechtlichen Gesetzesbefehls sicherstellt.

Die Vorgaben des EuGH erfordern, dass die zinslose und dauerhafte Stundung von Amts wegen gewährt wird. Die Entscheidung darüber sollte jedoch im Erhebungsverfahren und nicht im Festsetzungsverfahren getroffen werden. Es sei auch möglich, eine Stundung zu gewähren, selbst wenn der Steuerpflichtige die Wegzugsteuer bereits bezahlt hat.

Hinweis: Die Urteilsgrundsätze beziehen sich auf die Gesetzesfassung vor dem ATAD-Umsetzungsgesetz. Für noch offene oder anhängige Wegzugsfälle in die Schweiz gemäß der alten Rechtslage sollte im Einzelfall geprüft werden, ob eine zinslose und dauerhafte Stundung möglich ist. Wir unterstützen Sie gerne.

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