Restnutzungsdauer eines Gebäudes nach Maßgabe der betreffenden ImmoWertV

Nach Auffassung des BFH kann sich ein Steuerpflichtiger zur Darlegung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes jeder sachverständigen Methode bedienen, die im Einzelfall geeignet erscheint, den erforderlichen Nachweis zu führen.

Nach § 7 Abs. 4 S. 2 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung kann anstelle der Absetzungen nach Satz 1 der Vorschrift eine der tatsächlichen Nutzungsdauer des Gebäudes entsprechende Absetzung für Abnutzung (AfA) vorgenommen werden. Nutzungsdauer im Sinne des Gesetzes ist der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich bestimmungsgemäß genutzt werden kann.

Streitfall

Der Klägerin war durch Erbvertrag mit ihrem verstorbenen Lebensgefährten (L) vermächtnisweise der lebenslange Nießbrauch an einem vermieteten Grundstück eingeräumt worden. Das Nießbrauchsrecht wurde nicht in das Grundbuch eingetragen. Das Grundstück ist mit einem 1970 errichteten Bürogebäude mit Betriebswohnungen und einer Lagerhalle bebaut. Die Anschaffungskosten wurden fremdfinanziert.

Die Söhne (S1 und S2) des Erblassers wurden Erben des Grundstücks und S1 verkaufte seinen Miteigentumsanteil im Jahr 2013 an die Klägerin. Die Klägerin hatte sich im Erbvertrag zur Übernahme der im Zeitpunkt des Anfalls des Vermächtnisses noch auf dem Grundstück lastenden Verbindlichkeiten verpflichtet. In ihrer Steuererklärung für 2014 machte sie bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung Absetzungen für Abnutzung (AfA) in Höhe von 20.451 Euro geltend, wobei sie von einer Restnutzungsdauer der Gebäude von sechs Jahren ausging. Das Finanzamt erkannte die AfA jedoch nur in Höhe des typisierten festen Satzes von 2 % (= 2.455 Euro) an.

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Anerkennung der Abschreibung nach einer tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer der Gebäude von weniger als 50 Jahren gemäß § 7 Abs. 4 S. 2 EStG. Das Finanzgericht erhob daraufhin Beweis durch Einholung eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken. Der Sachverständige kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass die gewichtete tatsächliche Restnutzungsdauer des Gesamtobjekts gemäß § 6 Abs. 6 ImmoWertV 2010 19 Jahre betrage.

Im Klageverfahren machte die Klägerin erstmals geltend, dass die Bemessungsgrundlage für die Abschreibung zu erhöhen sei. Sie machte geltend, dass mit dem Erwerb des hälftigen Miteigentums ihr Nießbrauchsrecht erloschen sei und der Wert dieses Verlustes zu ihren Anschaffungskosten gehöre. Das Finanzgericht gab der Klägerin insofern Recht und erkannte den Wert des verlorenen Nießbrauchsrechts als Teil der Anschaffungskosten an. Dieser Wert wurde als Anschaffungskosten des hälftigen Miteigentumsanteils berücksichtigt. Die Schlussfolgerung des Gutachters, dass eine Verteilung der Anschaffungskosten auf einen Zeitraum von nur 19 Jahren erforderlich sei, sei jedoch nach Ansicht des Finanzgerichts nachvollziehbar.

Entscheidung des BFH

Soweit das Finanzgericht den kapitalisierten Wert des auf den erworbenen Miteigentumsanteil entfallenden Nießbrauchs als Anschaffungskosten angesehen und in die AfA-Bemessungsgrundlage einbezogen hat, hält der BFH die Revision des Finanzamts für begründet. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sei die Entscheidung des Finanzgerichts, die Gebäude-AfA nicht auf 50 Jahre, sondern gemäß § 7 Abs. 4 S. 2 EStG nur auf 19 Jahre zu verteilen.

Die Darlegungs- und Beweislast für die kürzere tatsächliche Nutzungsdauer des Gebäudes trägt der Steuerpflichtige. Für den Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer eines Gebäudes nach § 7 Abs. 4 S. 2 EStG könne sich der Steuerpflichtige verschiedener sachverständiger Methoden bedienen. Ein bloßer Verweis auf modellhaft ermittelte Gesamt- und Restnutzungsdauern nach der Immobilienwertermittlungsverordnung reiche allerdings nicht aus.

In der Folge der BFH-Entscheidung vom 28.07.2021 (IX R 25/19) wurde teilweise die Meinung vertreten, dass für die Darlegung der abweichenden Nutzungsdauer kein Gutachten mehr nötig sei. Die abweichende typisierte Nutzungsdauer gemäß der ImmoWertVO erlaube es Steuerpflichtigen und deren Beratern, diese selbst zu bestimmen und somit die Bewertung vorzunehmen. Diese Auffassung beruhe auf einer Fehlinterpretation der BFH-Entscheidung. Die Schätzung der Nutzungsdauer erfordere vielmehr eine sachverständige Begutachtung, die sich insbesondere auf die individuellen Gegebenheiten des Objekts beziehe. Dazu zählten auch durchgeführte oder unterlassene Instandsetzungen oder Modernisierungen.

Die Würdigung der Vorinstanz, die im gerichtlichen Sachverständigengutachten nachvollziehbar ermittelte Restnutzungsdauer der Gebäude von 19 Jahren sei als kürzere tatsächliche Nutzungsdauer gemäß § 7 Abs. 4 S. 2 EStG zu berücksichtigen, ist nach diesen Maßstäben nicht zu beanstanden.

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