Fachliche Hinweise des IDW zu den Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die Rechnungslegung (1. Update)

Am 8. März 2022 hat das IDW einen Fachlichen Hinweis zu den Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die Rechnungslegung und deren Prüfung veröffentlicht.

Am 8. April 2022 folgte nun ein erstes Update, in dem Fragestellungen zu den notwendigen Konsequenzen sowohl in der handelsrechtlichen Rechnungslegung als auch nach IFRS für Stichtage nach Kriegsausbruch ergänzt wurden. Außerdem wurden Besonderheiten bei Konzernabschlussprüfungen und zur Berichterstattung des Abschlussprüfers über Sanktionsverstöße sowie Ausführungen zu den Auswirkungen der verhängten Sanktionen auf Vertragsbeziehungen eingefügt.

Auswirkungen auf die handelsrechtliche Rechnungslegung für Stichtage nach dem Kriegsausbruch

Konsolidierungswahlrecht für Tochterunternehmen
Gem. § 296 Abs. 1 Nr. 1 HGB braucht ein Tochterunternehmen nicht im Wege der Vollkonsolidierung in den Konzernabschluss des Mutterunternehmens einbezogen zu werden, wenn erhebliche und andauernde Beschränkungen die Ausübung der (formalrechtlich ggf. fortbestehenden) Rechte des Mutterunternehmens in Bezug auf das Vermögen oder die Geschäftsführung des Tochterunternehmens nachhaltig beeinträchtigen. Im Rahmen des Ukraine-Kriegs können diese Voraussetzungen z. B. bei politischen, wirtschaftlichen oder finanziellen Beschränkungen erfüllt sein. Die Beschränkungen der Rechteausübung müssen sowohl erheblich als auch andauernd sein und kumulativ vorliegen. Zeitlich müssen die Beschränkungen spätestens am Konzernabschlussstichtag Wirkung erlangt haben.


Niederstwerttest
Durch den Ukraine-Krieg können außerplanmäßige Abschreibungen von Vermögensgegenständen des Anlage- oder des Umlaufvermögens nach § 253 Abs. 3 S. 5 und 6 HGB bzw. Abs. 4 HGB erforderlich werden. Hinsichtlich der einzelnen möglicherweise betroffenen Bilanzposten gibt das IDW in seinem Update einen umfassenden Überblick.


Verfügungsbeschränkungen bei liquiden Mitteln
Für die handelsrechtliche Rechnungslegung stellt sich die Frage, wie Bankguthaben, die Verfügungsbeschränkungen unterliegen, in der Bilanz zu behandeln sind. Bestehen Verfügungsbeschränkungen etwa durch eingefrorene oder gesperrte Bankkonten, sind die Guthaben unter den sonstigen Vermögensgegenständen oder in einem nach § 265 Abs. 5 S.2 HGB gebildeten gesonderten Posten auszuweisen. Dies gilt auch, wenn über das Guthaben auf einem Währungskonto mangels Konvertierbarkeit nicht mehr verfügt werden kann.

Im Rahmen der Kapitalflussrechnung muss geprüft werden, ob sich durch die Beschränkung die Restlaufzeit verändert. Liegen keine äußerst liquiden Mittel mehr vor, das heißt die maximale Restlaufzeit von drei Monaten wird überschritten, ist ein gesonderter Ausweis der nicht zahlungswirksamen Veränderungen des Finanzmittelfonds erforderlich. Sind trotz der Verfügungsbeschränkung die Voraussetzungen erfüllt, ist ggf. eine Überleitungsrechnung auf den Posten „Kassenbestand, Bundesbankguthaben, Guthaben bei Kreditinstituten und Schecks“ erforderlich.


Rückstellungen
Hinsichtlich der Bildung von Drohverlustrückstellungen kann sich für am Abschlussstichtag schwebende Absatzgeschäfte mit vereinbarten fixen Entgelten vor allem wegen der Preissteigerungen für Energie und Rohstoffe das Erfordernis einer Drohverlustrückstellung ergeben. Bei der Beurteilung der Frage ist zu prüfen, ob in den zugrunde liegenden Verträgen force majeure oder vergleichbare Klauseln enthalten sind, die die Liefer- oder Leistungsverpflichtung des Bilanzierenden aussetzen oder entfallen lassen. Damit entfällt das Erfordernis zur Passivierung einer Drohverlustrückstellung.

Bei Verstößen gegen ordnungs- oder bußgeldbewehrte Sanktionsregelungen ist von den gesetzlichen Vertretern anhand allgemeiner Kriterien zu prüfen, ob eine Verbindlichkeitsrückstellung für eine drohende Strafe bzw. ein drohendes Ordnungs- oder Bußgeld zu passivieren ist.

Kann ein Unternehmen eine am Abschlussstichtag fällige Geldzahlungsverpflichtung gegenüber einem russischen oder belarussischen Gläubiger nicht erfüllen, weil bestimmte russische Banken vom SWIFT-Zahlungsabwicklungssystem ausgeschlossen worden sind, berührt dies den Ansatz einer Schuld und deren Bewertung in der Bilanz nicht. Es ist jedoch zu prüfen, ob durch vertragliche oder supra- oder internationale Regelungen Verzugszinsen entstehen und deshalb über die Fortführung der Primärschuld hinaus ein Schuldposten für die bis zum Abschlussstichtag entstandenen Zinsschulden anzusetzen ist.


Umrechnung von Fremdwährungen
Sofern die Europäische Zentralbank bzw. die Deutsche Bundesbank keine Wechselkurse mehr bereitstellt, können – solange die Währungen noch konvertibel sind – inoffizielle oder Graumarktkurse, soweit bekannt, verwendet werden. Bei der Erstverbuchung können aus Vereinfachungsgründen auch zeitraumbezogene Durchschnittskurse verwendet werden, wenn die damit verbundene Beeinträchtigung der Vermögens- und Ertragslage unwesentlich ist. Zur Folgebewertung nichtmonetärer Vermögensgegenstände findet eine Währungsumrechnung nur dann statt, wenn diese ausschließlich in fremder Währung (wieder-)beschafft werden können.

Im (Konzern-)Anhang sind Angaben zur Umrechnung von Fremdwährungsgeschäften/-posten im Rahmen der Erläuterung der im (Konzern-)Abschluss angewandten Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden zu machen.

Hinsichtlich des Einbeziehungswahlrechts gemäß § 296 Abs. 1 Nr. 1 HGB für Tochterunternehmen in der Ukraine oder in Russland hat eine Übergangskonsolidierung auf die Equity- oder Anschaffungskostenbewertung zu erfolgen. Bei einem Übergang von der Vollkonsolidierung auf die Equity-Bewertung ist der auf die im Konzern verbleibenden Anteile entfallende Betrag der Eigenkapitaldifferenz aus Währungsumrechnung nach den in DRS 25.90 ff. beschriebenen Regeln entweder gesondert im Konzerneigenkapital oder als Teil des Equity-Werts fortzuführen. Bei einem Übergang von der Vollkonsolidierung auf die Anschaffungskostenbewertung ist die auf die im Konzern verbleibenden Anteile entfallende Eigenkapitaldifferenz aus Währungsumrechnung mit dem Zugangswert der Anteile, der dem darauf entfallenden anteiligen Reinvermögen zu Konzernbuchwerten zum Zeitpunkt des Statuswechsels entspricht, zu verrechnen.

Da derzeit noch nicht davon auszugehen ist, dass es sich bei der Ukraine, Russland bzw. Belarus um Hochinflationsländer handelt, ist eine Inflationsbereinigung nicht notwendig. Abhängig von den weiteren Entwicklungen kann sich diese Beurteilung für künftige Stichtage ändern.


Anhangangaben
Zusätzlich zu den bereits in der ersten Version der Fachlichen Hinweise gemachten Ausführungen bezüglich der notwendigen Angaben im Anhang fügt das Update u. a. noch weitere Aspekte hinzu:

  • Angaben oder Erläuterungen im Anhang dürfen nicht an die Stelle gebotener Abbildungen von Sachverhalten in der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung treten,
  • „als ob-Angaben“ sind nicht sachgerecht, da sie nicht hinreichend objektivierbar ermittelt werden können,
  • in bestimmten Fällen kann es geboten sein, soweit es für das Wohl der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder erforderlich ist, Angaben zu unterlassen (§ 286 Abs. 1 HGB). Diese Vorschrift kann bspw. für Unternehmen des Rüstungssektors relevant sein.
     

Auswirkungen auf die IFRS-Rechnungslegung für Stichtage nach Kriegsausbruch

Beherrschung über ein Tochterunternehmen nach IFRS 10
Die Frage der Beherrschung eines Tochterunternehmens ist nach IFRS 10 stets unter Berücksichtigung aller Tatsachen und Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Das Beherrschungskonzept des IFRS 10 basiert auf einer gesicherten Rechtsposition, die Verfügungsmacht begründet. Dabei sind hohe Anforderungen an Umfang und voraussichtliche Dauer der möglichen Einschränkungen der Rechtsposition zu stellen. In Betracht kommen z.B. die fehlende Möglichkeit, die für die Ausübung bestehender Rechte erforderlichen Informationen zu erheben oder die Beeinträchtigung der Ausübbarkeit von Stimmrechten aufgrund gesetzlicher oder regulatorischer Anforderungen.

Die IFRS enthalten kein Vollkonsolidierungswahlrecht wie § 296 Abs. 1 HGB. Wird die Frage nach dem Vorliegen von Beherrschung bejaht, ist eine Konsolidierung vorzunehmen. Andernfalls besteht eine Pflicht zur Ent- bzw. Übergangskonsolidierung.


Werthaltigkeitsprüfung nach IAS 36
In Abhängigkeit von der unmittelbaren oder mittelbaren Betroffenheit der Bilanzierenden von den Ereignissen in der Ukraine sowie den verhängten Sanktionen gegen bzw. durch Russland können sich Auswirkungen auf die Werthaltigkeitsprüfungen von Vermögenswerten nach IAS 36 ergeben. Darunter fallen zahlreiche Arten von nicht-finanziellen Vermögenswerten, wie z. B. immaterielle Vermögenswerte, Geschäfts- oder Firmenwerte und Sachanlagen sowie Nutzungsrechte, biologische Vermögenswerte und als Finanzinvestition gehaltene Immobilien, die zu Anschaffungskosten bewertet werden. Für diese Vermögenswerte ist eine Werthaltigkeitsprüfung durchzuführen, sofern zum Abschlussstichtag Anhaltspunkte für eine Wertminderung vorliegen.

Anhaltspunkte für eine Wertminderung sind z. B. signifikante Veränderungen mit nachteiligen Folgen für das Unternehmen im technischen, marktbezogenen, ökonomischen oder gesetzlichen Umfeld, in dem das Unternehmen tätig ist, oder in Bezug auf den Markt, für den der Vermögenswert bestimmt ist, die eingetreten sind oder in der nächsten Zukunft eintreten werden, oder substanzielle Hinweise für eine Überalterung, Diebstahl, Beschlagnahmung oder physische Schäden von Vermögenswerten.
 

Wertminderung bei Finanzinstrumenten
Die aktuelle Unsicherheit stellt die bilanzierenden Unternehmen vor Herausforderungen bei der Anwendung des Wertminderungsmodells nach IFRS 9. Dabei führen die folgenden Regelungen bei zu fortgeführten Anschaffungskosten bilanzierten finanziellen Vermögenswerten in der derzeitigen Situation mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Aufwendungen:

  • Wertminderungen (insb. Stufentransfer und Status „beeinträchtigte Bonität“ (credit-im-paired); vgl. IFRS 9.5.5.1, IFRS 9, Appendix A)
  • Schätzung der vertraglichen Zahlungsströme (IFRS 9.B5.4.6) und
  • Modifikationen (IFRS 9.5.4.3).


Anhaltspunkte für die Beurteilung der Betroffenheit von bilanzierenden Unternehmen durch den Ukraine-Krieg müssen unternehmensindividuell beurteilt werden. Sie kann sich aus direkten Geschäftsbeziehungen in die Ukraine, nach Russland und/oder Belarus ergeben. Dies kann der Fall sein, wenn ein Kreditnehmer in Zahlungsschwierigkeiten gerät, weil er keine oder weniger Umsätze realisieren kann oder er selbst von Kundenausfällen betroffen ist.

Wegen der unterschiedlichen Sanktionsmaßnahmen ist es im Moment schwierig, einen Kreditausfall eindeutig festzustellen. Das bilanzierende Unternehmen muss daher eine Erwartung hinsichtlich der Einbringlichkeit der vertraglichen Zahlungsströme auf Basis aller angemessenen und belastbaren Informationen dokumentieren.

Bei der Ermittlung von Kreditverlusten müssen neben der Ausfallwahrscheinlichkeit auch bestehende Sicherheiten, die sich auf die Verlustquote bei Kreditausfall auswirken, berücksichtigt werden. Sofern Finanzgarantien als integraler Bestandteil eines finanziellen Vermögenswerts angesehen werden, sind deren Bedingungen im Hinblick auf mögliche Ausschlüsse in Bezug auf den Krieg zu betrachten und bei der Ermittlung der Höhe der erwarteten Kreditverluste entsprechend zu berücksichtigen.


Verfügungsbeschränkungen bei Zahlungsmitteln und Zahlungsmitteläquivalenten
Durch den Ausschluss bestimmter Finanzinstitute aus dem SWIFT-Verfahren kann die Ausführung von Banktransaktionen, an denen diese Finanzinstitute beteiligt sind, gestört sein. Es ist daher jeweils zu würdigen, ob eine Restriktion so weitreichend ist, dass sie einer Einbeziehung in die Zahlungsmittel und Zahlungsmitteläquivalente entgegensteht.


Rückstellungen
Durch den Krieg kann es zu Preisänderungen auf relevanten Beschaffungs- und/oder Absatzmärkten, insb. für Rohstoffe und Energie, oder zu Leistungsstörungen in Beziehungen mit Geschäftspartnern in der Ukraine oder Russland kommen. Dadurch kann sich die Wirtschaftlichkeit schwebender Verträge nachteilig verändern. In derartigen Fällen ist zunächst nach IAS 36 zu beurteilen, ob die mit diesen Verträgen in Verbindung stehenden (langfristigen) Vermögenswerte des bilanzierenden Unternehmens wertgemindert sind. Anschließend ist die Passivierung einer Drohverlustrückstellung zu prüfen. Diese Regelungen gelten für alle Verträge, unabhängig von ihrer Laufzeit.


Fremdwährungsumrechnung
IAS 21 schreibt für die Umrechnung bestimmter Bilanzposten die Verwendung von Stichtagskursen vor. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat seit dem 1. März 2022 die Veröffentlichung ihres Euro-Rubel-Wechselkurses eingestellt. Unternehmen haben daher zu jedem Erstellungszeitpunkt zu prüfen, ob offiziell notierte Wechselkurse aus alternativen Quellen verfügbar sind, welche die Anforderungen des IAS 21 an einen Stichtagskurs erfüllen. Ist der Umtausch zum Datum des Geschäftsvorfalls oder einem nachfolgenden Abschlussstichtag ausgesetzt, ist von den Unternehmen der Kurs zu verwenden, der am ersten darauffolgenden Tag gilt, an dem ein Umtausch wieder möglich ist.

Werden geschäftliche Tätigkeiten durch ausländische Geschäftsbetriebe ausgeübt, sind die Jahresabschlüsse dieser ausländischen Geschäftsbetriebe in die Darstellungswährung des Konzerns umzurechnen. Der Abschluss eines solchen ausländischen Geschäftsbetriebs muss mit dem Kassakurs im Erstellungszeitpunkt (Vermögenswerte und Schulden) bzw. mit dem im Zeitpunkt der jeweiligen Geschäftsvorfälle gültigen Wechselkurs bzw. vereinfachungshalber ggf. mit einem Durchschnittskurs (Erträge und Aufwendungen) angesetzt werden.

Auswirkungen der Sanktionen auf Vertragsbeziehungen

Neue Verträge, die gegen bereits erlassene EU-Sanktionen verstoßen, sind nichtig. Die von der EU mittels EU-Verordnung erlassenen Sanktionen gelten in allen Mitgliedsstaaten als unmittelbares Recht. Bestehende Verträge bleiben jedoch grundsätzlich wirksam. Soweit der Vertrag noch nicht vollständig abgewickelt ist, sind Altvertragsklauseln bzw. Abwicklungsfristen für vor dem 26. Februar 2022 geschlossene Verträge zu beachten.

Besteht ein gesetzliches Leistungsverbot z. B. in Folge einer Sanktion, kann eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegen, die ein Rücktrittsrecht auslösen kann. Eine solche Störung ist gegeben, wenn sich Umstände, die zur Vertragsgrundlage geworden sind, so gravierend ändern, dass der Vertrag in Kenntnis dieser Umstände nicht oder mit einem anderen Inhalt geschlossen worden wäre. Im Falle eines Dauerschuldverhältnisses ist eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund möglich.

Verstößt die Leistungserbringung gegen EU-Sanktionen, steht dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht zu. Soweit die Leistung nicht gegen Sanktionen verstößt, ist der Schuldner weiterhin zur Leistung bzw. Zahlung verpflichtet. Der Ausschluss russischer Banken aus dem SWIFT-System steht dem nicht entgegen.

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