Erstmals Eilanträge gegen das neue Grundsteuer- und Bewertungsrecht (Kopie 1)
In zwei Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes (4 V 1295/23 und 4 V 1429/23) zu den Bewertungsregeln des neuen Grundsteuer- und Bewertungsrechts hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat am 23.11.2023 entschieden, dass die Vollziehung der dort angegriffenen Grundsteuerwertbescheide wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit auszusetzen ist.
Die Streitfälle
Dem ersten Streitfall lag eine Grundsteuerwertfeststellung für ein Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von 72 Quadratmetern zugrunde. Nach dem Vortrag der Antragstellerin sei das Haus im Jahr 1880 errichtet, seit Jahrzehnten unrenoviert und noch mit einer Einfachverglasung der Fenster versehen. Daher sei der gesetzlich normierte Mietwert pro Quadratmeter überhöht. Der Bodenrichtwert für das 351 Quadratmeter große Grundstück war durch den zuständigen Gutachterausschuss mit 125 Euro pro Quadratmeter ermittelt worden. Das Finanzamt wandte dennoch den gesetzlich normierten Mietwert an und stellte den Grundsteuerwert für die gesamte Immobilie zum Stichtag 01.01.2022 auf 91.600 Euro fest.
Der zweite Streitfall betraf eine Grundsteuerwertfeststellung für ein Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von 178 Quadratmetern, das im Jahr 1977 bezugsfertig errichtet wurde. Der Bodenrichtwert für das 1.053 Quadratmeter große Grundstück war durch den zuständigen Gutachterausschuss mit 300 Euro pro Quadratmeter ermittelt worden. Nach dem Vortrag der Antragsteller könne dieser Bodenwert jedoch nur mit einem Abschlag von 30 % angewandt werden, weil ihr Grundstück aufgrund einer Bebauung in zweiter Reihe, der Grundstückserschließung nur durch einen Privatweg und wegen einer besonderen Hanglage nur eingeschränkt nutzbar sei. Das Finanzamt berücksichtigte den Bodenrichtwert gleichwohl ohne Abschlag und stellte den Grundsteuerwert für die gesamte Immobilie zum Stichtag 01.01.2022 auf 318.800 Euro fest.
Bewertung nach dem Bundesmodell
Nach den Regelungen des Bewertungsgesetzes im sog. Bundesmodell der Grundsteuer, das in Rheinland-Pfalz und zehn weiteren Bundesländern Anwendung findet, wird die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer, die ab dem 01.01.2025 von den Gemeinden erhoben werden wird, ganz wesentlich durch die Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 01.01.2022 vorbestimmt. Diese Feststellung erfolgt durch eigenständige sog. Grundlagenbescheide des Finanzamts, sodass Einwände gegen die Höhe der Bemessungsgrundlage der künftig erhobenen Grundsteuer insofern nur gegen diese Grundsteuerwertbescheide vorgebracht werden können.
Das FG setzte mit den beiden Eilbeschlüssen die Vollziehung des gegenüber den Antragstellern ergangenen jeweiligen Grundsteuerwertbescheids aus, weil nach summarischer Prüfung ernstliche Zweifel sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der einzelnen Bescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der zugrunde liegenden Bewertungsregeln bestünden. Hierdurch konnten Steuerpflichtige erstmals vor einem Finanzgericht mit ihren Einwänden gegen die Bewertung nach dem sog. Bundesmodell durchdringen.
Zweifel an den Bodenrichtwerten
Die einfachrechtlichen Zweifel des FG betrafen vor allem Zweifel daran, dass die entscheidend in die Bewertung eingeflossenen Bodenrichtwerte rechtmäßig zustande gekommen seien. Hierbei hat der Senat zum einen ernstliche Bedenken bezüglich der gesetzlich geforderten Unabhängigkeit der rheinland-pfälzischen Gutachterausschüsse geäußert, weil nach der rheinland-pfälzischen Gutachterausschussverordnung Einflussnahmemöglichkeiten nicht ausgeschlossen werden könnten. Hinzu traten ernstliche Bedenken des Senats bezüglich der für die Ermittlung der Bodenrichtwerte notwendigen Datengrundlage, weil in den zur Ableitung der Bodenrichtwerte geführten Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse in erheblichem Umfang Datenlücken zu befürchten seien, die zu erheblichen Verzerrungen bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte führen könnten.
Zudem sah es das FG aus Rechtsgründen als geboten an, dass Steuerpflichtige – im Einzelfall und unter bestimmten Bedingungen – die Möglichkeit haben müssten, einen unter dem typisierten Grundsteuerwert liegenden Wert ihres Grundstücks nachweisen zu können. Dies leitet das FG aus einer verfassungskonformen Auslegung des Bewertungsrechts ab, da anderenfalls aufgrund der nahezu vollständig typisierten Besteuerung erhebliche Härten entstehen könnten. Für einen derartigen Nachweis besteht nach der Auslegung des FG auch keine förmliche Verpflichtung, dass dieser nur durch ein förmliches Sachverständigengutachten erbracht werden könnte. In diesem Zusammenhang erkannte das FG für beide entschiedenen Streitfälle, dass dort jeweils wegen der einzelfallbezogenen Besonderheiten ein niedrigerer Wert anzusetzen sein könnte.
Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Bewertungsregelungen hatte das FG im Hinblick auf eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG, der für das Bewertungsrecht ein Gebot der realitäts- und relationsgerechten Grundstücksbewertung begründe. So sei bereits nicht eindeutig, was der genaue Belastungsgrund der Grundsteuer sein solle und wie daher überprüft werden könne, ob die durch das Bewertungssystem erreichten Bewertungsergebnisse „relationsgereicht“ seien, also tatsächlich bestehende Wertunterschiede angemessen abbilden könnten.
Zudem hatte das FG ernstliche Zweifel daran, dass die Regelungen des Bewertungsgesetzes überhaupt geeignet seien, eine realitäts- und relationsgerechte Grundstücksbewertung zu erreichen. So führe insbesondere die große Zahl gesetzlicher Typisierungen und Pauschalierungen und eine nahezu vollständige Vernachlässigung aller individuellen Umstände der konkret bewerteten Grundstücke zu der Einschätzung des FG, dass es zu Wertverzerrungen für den gesamten Kernbereich der Grundsteuerwertermittlung kommen könne. Die gewählte Regelungstechnik bewirke eine gleichheitswidrige Nivellierung der Grundstücksbewertung mit systematischen Unterbewertungen hochwertiger Immobilien und systematischen Überbewertungen für solche Immobilien, die sich in weniger begehrten Lagen bzw. in schlechterem baulichen Zustand befinden oder deren Ausstattungsmerkmale weniger hochwertig sind. Die Regelungen führten zudem in erheblichem Umfang zu Wertverschiebungen, sodass insgesamt nicht mehr von einer gleichheitsgerechten Bewertung ausgegangen werden könne.
Außerdem erkannte das FG ein gleichheitswidriges Vollzugsdefizit bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte, weil diese Werte häufig aus der Aufteilung von Gesamtkaufpreisen in einen Gebäude- und einen Bodenanteil ermittelt würden, ohne dass den Gutachterausschüssen effektive Instrumente zur Sachverhaltsermittlung sowie zur Verifikation der Angaben von Grundstückseigentümern zur Verfügung stünden.
Urteile stärken Rechtsschutzmöglichkeiten für Steuerpflichtige
In verfahrensrechtlicher Hinsicht stärkte das FG die gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten für Steuerpflichtige, indem es – entgegen der Auffassung des Finanzamts, das für den Rechtsschutz bezüglich der Bodenrichtwerte die Verwaltungsgerichte als zuständig ansah – von einer umfassenden Eröffnung des Finanzrechtswegs ausgeht. Dies vermeidet für Steuerpflichtige eine zweifache Rechtsverfolgung in verschiedenen Gerichtszweigen.
Das FG hat insbesondere wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfragen die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen.
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